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Ausstellung 12. - 26.2.2006

Mia Unverzagt

Sich treffen um ...

Installationen und Bilder

Vernissage Samstag, 11.02.2006 ab 19.00 Uhr
Einführung Arnfrid Astel

Eine Deutsche in Havanna

Für uns Kubaner sind Nachdenken und Reflektieren nicht das gleiche wie für eine Deutsche. Welcher Wissenszweig auch betroffen sein sollte – in Kuba an eine Materie heranzugehen bedeutet, dass sie mit Anekdoten und Kommentaren, mit ihren Konnotationen und möglichen Bedeutungen eingekreist wird undüber Ähnlichkeiten mit der dazugehörigen Portion Humor spekuliert wird. Den Kern einer Sache gehen wir selten direkt an, d. h. es fällt uns schwer, uns klar und präzise auszudrücken. Das englische »the point is …« ist für uns schwer einzuhalten. So etwas gibt es im kubanischen Sprachgebrauch nicht, da wir von Haus aus spanischsprachig sind und Geradlinigkeit eher in anderen Teilen der Welt zu finden ist, wo die erkenntnistheoretischen Fundamente viel stärker auf Vernunft und Methodik beruhen. Wir leben hier immer noch stärker unter dem Regime unserer Leidenschaften und Gefühle – wenn auch die Ratio sich immer mehr durchsetzt. Dies alles schreibe ich, weil die junge deutsche Künstlerin Mia Unverzagt anlässlich ihrer Aufenthalte in Kuba beide Haltungen – Leidenschaft
und Vernunft – in ihren Performances und Werken zusammenbringt. Immer wieder weilte sie in den letzen Jahren auf Einladung der Kunsthochschule Havanna und der Ludwigstiftung Kuba hier bei uns in Havanna und die dabei entstandenen Zeichnungen, Performances, Fotos und Installationen sind inzwischen als Kataloge veröffentlicht worden.

Es ist ihr gelungen, die soziale und psychologische Atmosphäre aufzufangen, in der wir zurzeit leben – diese Atmosphäre voller Wechselfälle in unserem Alltag; sie hat teilgehabt an unseren Freuden und Frustrationen, Illusionen und Enttäuschungen – in unseren Familien, Häusern und Vierteln – was gleichsam ein wirksames Antidot ist gegen jegliches oberflächliches Herangehen an unsere Realität, die von Ausländern so gerne dazu missbraucht wird, in wenigen Stunden oder Tagen unsere komplexe Existenz abzuhandeln. Sie hielt sich nicht mit Oberflächlichkeiten wie Musik, Afrokubanismen, Mojito, Zigarren und dem milden Klima auf, die oft genug von vielen Künstlern als ausreichender »Rohstoff« erachtet werden, um sofort die Sympathien der Institutionen und der Sponsoren zu wecken (hier und im Ausland) und sie so ihre Projekte realisieren können.

Sie hat dagegen andere Fragmente unserer Realität gefunden, um ihre Ideen auszudrücken und ihre eigene kubanische Bilderwelt aufzubauen. Unter all den Möglichkeiten entschied sie sich für den Stuhl, dieses allgemein bekannte und unverzichtbare (Gebrauchs) Objekt. Der kubanische Stuhl so wie wir ihn kennen, ist zweifelsohne eine Metapher für die Zeit in der wir leben – ein Symbol für das menschliche Durchhaltevermögen und den Widerstand gegen das Vergessen. Der Stuhl ist bereits Teil des kollektiven kubanischen Gedächtnisses, im Osten wie im Westen Kubas gehört er dazu wie die alten amerikanischen Wagen und die Sonne.

Die »kubanischen« Stühle sind in einer Reihe mit einer Tendenz zu sehen, die sich heute in Essays, Ausstellungen, Foren oder Kunstbiennalen Bahn bricht, nicht zuletzt bei der letzten Biennale hier in Havanna. Dabei geht es um einen wichtigen Gedanken, auf den wir immer wieder zurück kommen: »Wie können künstlerische Arbeiten dazu beitragen, uns und die Welt, in der wir leben, besser zu verstehen?« Diese Tendenz wird heute temporär durch effekthascherische und auf Spekulation beruhende Diskurse außer Kraft gesetzt wird, sie wird überschattet von strukturellen und formalen Partikularismen, interdisziplinärenÜberdruss, die die heutige internationale Kunstszene so prägen und zu einem kulturellen Output geführt haben, dessen Ästhetik zweifelhaft bleibt und wenig dazu beiträgt, obiges Ziel zu erreichen.

Ihre künstlerischen Arbeiten sind zweifellos ein faszinierender Beitrag, wenn es darum geht, die Bedeutungsgebung verschiedener Objekte in unterschiedlichen kulturellen Kontexten zu untersuchen. Es ist interessant, in den Werken Unverzagts die Verschmelzung von Formen und Ideen zu beobachten – ihre Positionen vermitteln eine unmittelbare Empathie mit dem Betrachter und überzeugen durch die Einfachheit der Mittel. So könnte man sie durchaus einer wichtigen Strömung der zeitgenössischen brasilianischen Kunst zuordnen.

Mia Unverzagt bleibt bei ihrer Herangehensweise an die uns bekannte Kunstgeschichte und eröffnet uns so komplexe Beziehungswelten, die uns viel näher sind, als wir uns vorher vorstellen konnten.

Nelson Herrera Isla

Dichter, Kritiker und Essayist
1984 war er Komisar für Cuba bei der Biennale von Venedig.
Seitdem arbeitet er im Centro Wilfredo Lam und als Kurator
der Biennale von Havanna.