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K4 galerie
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Ludwig HarigBiografie Werkbeschreibung Texte
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ausstellungseröffnung sobald das schweigen beginnt muß ich vom malen reden |
Entstehungsjahr 1969
Ludwig Harig
Seltsames Verhältnisspiel der Dinge
Ausstellungseröffnung "Aus der Serie 2"
das was ist
was ist das
ist das was
ja,das ist was
Es ist, meine Damen und Herren, ein kleines Frage- und Antwortspiel , zustande gekommen durch die Vertauschung dreier Wörter im Satz: Es ist die Frage nach der Realität des Seins und zugleich die bestätigende Antwort.
das was ist
was ist das
ist das was
ja, das ist was
Ich bin hoch erfreut, daß die Kunst auf ein Thema der Darstellung zurückgekommen ist, das die Malerei, die Musik und die Literatur in den fünfziger und sechziger Jahren stark beschäftigt und geprägt hat. Es ist das Thema der Serie. Wir alle wissen aus Erfahrung: Eine Serie ist die regelmäßige Folge, die Aneinanderreihung gleicher oder auch ähnlicher Dinge -, oder, wie es in der Mathematik heißt, die regelmäßige Folge gleichartiger Elemente. Das können Briefmarkensätze, Sammeltassen, das können in der Herstellung Kühlschränke oder Fernsehgeräte, das können Rundfunksendungen, Zeitungsartikel, Verkehrsunfälle sein. In der Ausgabe von 1905 des Deutschen Wörterbuchs der Brüder Grimm folgen wir der Definition, daß jedes einzelne Element oder Glied einer solchen Reihe selbständig existent ist, aber doch zusammen ein Ganzes bilden sollte.
Ohne jetzt Forschung nach der Herkunft des Wortes "Serie" betreiben zu wollen, möchte ich doch erwähnen, daß seine Herkunft aus dem Griechischen und Lateinischen ins Mittelhochdeutsche übergewechselt ist und seine Bedeutung von Reihe, Folge, Streifen bis zu den miteinander verknüpften Losstäbchen für das Schicksalsorakel reicht. Serie ist also ein Wort, das in seiner Bedeutung zugleich ganz alltägliche Dingverknüpfung wie auch Schicksalsverknüpfung meint, Realistisches benennt und Mythologisches beschwört.
Wenn wir den Sinn des Begriffs deuten wollen, befragen wir am besten die in Serie auftretenden Erscheinungen nach ihren Namen. Bleiben wir für einen Augenblick bei der bildenden Kunst. Ihrem Namen nach sind die auf Linie gebrachten Steine von Carnac in der Länge und Breite neben- und hintereinandergegliederte Hünensteine. Ihr Standort Carnac ist benannt nach dem keltischen Wort carns, Steinreihe. Es sind Menhire bis zu dreizehn nebeneinander stehend, ein Kilometer und zweihundert Meter in der Länge.
Bildende Kunst, Architektur und Bildhauerei haben sich von Anfang an mit dieser verlockenden Erscheinung der Serie beschäftigt :Die Säulen des Altertums, die Kolonnen von Bernini, Monets Bildfolge der Kathedrale von Rouen, das Steinfeld zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin -und nicht zu vergessen die hier in der Galerie gezeigten Arbeiten in drei Folgen: Baumreihen und Treppenstufen, stereometrische Abwandlungen und vom Computer ausgedruckte poetische Variationen, Kosmogonien und Metamorphosen. Sie alle folgen der vielfältigsten Auslegung des Begriffs und. des Prinzips der Serie - und wie Sie sehen: Sie haben alle etwas mit der Mathematik zu tun. Die Kolonne ist ihrem Namen nach eine Zahlenreihe, die Kosmogonie ist die folgerichtige Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Weltalls und die Metamorphose eine in ihr stattfindende fortschreitende Verwandlung von Einzelwesen in Serie. Wir kennen diese seriellen Verwandlungsspiele aus der griechischen Mytho-logie. Dort heißt es an entscheidender Stelle von Dädalos, dem genialen attischen Künstler, der sich selbst und seinen Sohn mit Flügeln versieht: Er "wandelt den Sinn der Natur". Es ist nun auch interessant zu sehen und zu hören, wie Sprache sich verhält, wenn sie dem Prinzip der Serie und nicht mehr den grammatischen Regeln folgt. In den fünfziger Jahren bin ich als Schriftsteller selbst mit diesem wunderbaren Regelwerk der Serie bekannt geworden. In der Stuttgarter Schule des Philosophen und Dichters Max Bense habe ich mich leidenschaftlich auf die aus der Mathematik entwickelten Formspiele der Poesie gestürzt. Wunderbar, sage ich und ich beziehe mich dabei auf die deutsche Romantik, der am wenigsten ihre Nähe zur Mathematik zugetraut wird. Novalis, der Romantiker an und für sich, schreibt: "Wenn man den Leuten nur begreiflich machen könnte, daß es mit der Sprache wie mit den mathematischen Formeln sei; sie machen eine Welt für sich aus -, sie spielen nur mit sich selbst, drücken nichts als ihre wunderbare Natur aus, und eben darum sind, sie so ausdrucksvoll -, eben darum spiegelt sich in ihnen das seltsame Verhältnisspiel der Dinge." Die beiden Schreibmethoden, mit denen ich zwei Jahrzehnte lang gespielt und, experimentiert habe, sind, die Wortvertauschung - wie man die Permutation - und der Satzbruch - wie man den Anakoluth nennt. Beides sind Schreibformen, die in der Serie auftreten und das "seltsame Verhältnisspiel der Dinge" widerspiegeln, wie Novalis sagt. Ich habe damals begriffen, daß die feinsten Sprachgebilde der Poesie unter dem Zwang des konventionellen Satzbaus die Züge ihrer Eigenart, festen und Gebärden ihres Anliegens, alle Merkmale ihres besonderen Ausdrucks verlieren. Dazu gehört all das, was sich am sinnvollsten in der Serie ausdrückt.
Wortvertauschung und Satzbruch sind nicht rein experimentelle Sprachübungen
geblieben. Ich habe in den sechziger Jahren damit begonnen, diese beiden
Spielmethoden als erzählerische Vorgänge zu begreifen. Sowohl
Permutation wie auch Anakoluth haben in größeren Texten ihre
Erzählkraft erwiesen und sind schließlich zur Erzählsprache
geworden. Dabei ist die Permutation in ihrer methodischen Reinheit Sinn-
und Bedeutungsträger realer serieller Abläufe - und auch der
Satzbruch, der den Vorgang der Metamorphose nicht beschreibt und erklärt,
begreift sich selbst als Metamorphose, indem er von seinem Verständnis
her das sprachliche Äquivalent, nämlich die poetische, Entsprechung
der realen und mythologischen Verwandlung ist. Poetische Gestalt in der
Serie expliziert nicht das Wesen der Serie, sondern ist als poetisches
Sein selbst existent in der Serie.
immer schön der reihe nach
folgen wörter glied bei glied
doch der dichter brachte schmach
weil er die grammatik mied
und den sinn der sätze brach
freies tun schafft ungemach
auch beim braven töneschmied
wenn er seine noten stach
und so folgt der ton im lied
nimmer schön der reihe nach